Spektakel [1977 + 1978]

spektakel1Musikalisch gestalteter Verkehrslärm,
Chöre, Bläsermusik und Steelband-Rhythmen als Maschinengeräusche in einer Fabrik, Jazz, Karate,
eine Modenschaut des Hauses E. Ott,
Clownerien,
Licht- und Toneffekte u.v.a.
bilden die Grundlage für SPEKTAKEL

von Gerold Amann

„Spektakel“ von Gerold Amann hatte auf der Ruine Jagdberg Premiere
Kulturfest einer ganzen Region

Bereits vor drei Jahren hatte die Spielgemeinschaft Schlins auf sich aufmerksam gemacht: Damals brachten die Laienschauspieler „Goggalori“, ein Stück von Gerold Amann, das sich mit altem Lied- und Sagengut auseinandersetzte. In ihrer zweiten Premiere auf der Freilichtbühne der Ruine Jagdberg stand am Montag wieder ein Stück von Gerold Amann, einem Musikprofessor aus Schlins, auf dem Programm. Der Titel ist einfach und bezeichnend für die Zeit, in der das Stück spielt, die Gegenwart: „Spektakel“.

spektakel2Eine erste positive Überraschung bei der Eröffnungsvorstellung bescherte das Publikum das die nahezu 500 Plätze fassende Tribüne bis auf den letzten Platz füllte; eine zweite war das Bühnenbild des Feldkirchers Nikolaus Walter – übrigens das erste Mal, dass der gelernte Fotograf in dieser Richtung tätig wurde. Was sich nämlich bei Tagelicht als chaotisch ausnahm, wurde bei Beleuchtung zu einem guten, funktionell durchgestalteten Bühnenbild. Autowracks, Reklametafeln, kaltes Neonlicht. Im Hintergrund eitne überdimensionale Leuchtschrifttafel, die eher an Las Vegas, denn an die Ruine Jagberg erinnerte; darauf die Ankündigung des Spiels und der einzelnen Szenen, zwischendurch auch Symbole im Zusammenhang mit dem Spiel.

Die Geschichte beginn historisch. Vor rund zweihundert Jahren, so berichtet eine Schlinser Urkunde, fiel die Burg Jagberg einem großen Feuer zum Opfer. Die Sage berichtet, dass während der Bauernrebellion ein Vogt in das Burgverlies gestürzt und bis zum heutigen Tage nicht verwest sei. Drei Männer wollten dieser Geschichte nachgehen und stiegen in das Verlies worauf die Mauer davor mit lautem Getöse einstürzte. Von den dreien, so die Sage, habe man nichts mehr gehört.

Und hier setzt dann die freie Gestaltung von Gerold Amann ein. Bei einer günstigen Konstellation, so folgert er, könnten auch diese drei Männer wieder erwachen – was dann auch prompt passiert, womit das eigentliche „Spektakel“ beginnt.

Erste Szene: „Straße“. Die drei Auferstandenen aus früheren Jahrhunderten gehen auf einer Straße, stehen fassungslos und erschrocken den Autos, die an ihnen vorüberbrausen, gegenüber. Dargestellt wird der Verkehr durch über die Bühne schwenkende Lichtkegel, der dazugehörende Lärm durch eine Bläsergruppe. Und das ist dann auch das, was dieses „Spektakel“ so auszeichnet: Die Erfassung der täglichen Geräuschkulisse unserer Umwelt auf musikalische Art.

spektakel3Viele Instrumente müssen dazu herhalten, von traditionellen Blasinstrumenten bis zum Schlagzeug mit leeren Fässern, vom gemischten Chor bis zu Radiokurzwellen. Aber auch jede andere Aktion auf der Bühne wird zur Musik, so zum Beispiel das Aufpumpen eines Fahrrades in den Zwischenszenen, die von zwei Mitgliedern der Spielgemeinde Schlins allerdings vielleicht etwa zu zirkusähnlich gestaltet werden.

Die Geschichte der drei wieder zum Leben Erwachen ist schnell fertig erzählt. Der erste kommt unter ein Auto, der zweite kann sich nicht zurechtfinden, er wird von den ungewohnten Eindrücken fast erdrückt und wir wahnsinnig, der dritte aber schafft es. Er passt sich den Realitäten an, zeit die im heutigen Leben offenbar notwendige Brutalität und wird, zumindest finanziell gesehen, ein großer Mann.

Was die Spielgemeinschaft Schlins hier unter der musikalischen Leitung von Gerold Amann und der Regie von Anton Reitzenstein zeigt, ist schlechthin großartig. 80 Laienspieler bewältigen ein klar durchkomponiertes Werk nicht nur musikalisch, sondern auch szenisch. Der einzige Profi des Ensembles, der Schweizer Pantomime Bernard Rolle, fügt sich – trotz eines phantastischen Soloauftritts – glänzend in diese für ihn ungewohnte Umgebung ein, ohne die Laien abfallen zu lassen.

In diesem Einsatz von 80 Laienschauspielern aus dem gesamten Walgau liegt wohl auch der kulturell entscheidende Faktor: Hier wird en Leuten nicht nur irgendetwas zur Konsumation vorgesetzt, so nach dem Motto „Friß, Vogel, oder stirb“, sondern diese Leute werden selbst zu Vermittlern der Kultur. Und dass das nicht in einem kulturellen Zentrum, sondern auf dem Land passiert, macht das ganze „Spektakel“ eigentlich nur noch erfreulicher.

Premierenbericht von Walter Fink: NEUE, vom 17. August 1977